Chris Schulenburg

Verfassungsschutz stärken

Unionspolitiker beraten in Berlin

Die Verfassungsschutzämter als elementarer Bestandteil

der deutschen Sicherheitsarchitektur

Die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland steht gegenwärtig vor Herausforderungen, deren Komplexität und Intensität rasant ansteigen. Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfordert daher eine professionelle, gut ausgestattete und vor allem wehrhafte Sicherheitsarchitektur. Ein wichtiger Bestandteil sind die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern, deren Arbeit für die Resilienz unseres Staates und das Bestehen der Demokratie unverzichtbar ist.

Die verfassungsschutzpolitischen Sprecher der Unionsfraktionen bekennen sich uneingeschränkt zum Verfassungsschutz und betrachten es als selbstverständlich, diesem die notwendige politische Rückendeckung zu geben und die erforderlichen Mittel zu verschaffen. Hierzu gehört es auch, die rechtlichen Rahmenbedingungen auf der Höhe der Zeit zu halten. Dies schließt sowohl die Schaffung neuer Befugnisse als auch die Anpassung der rechtsstaatlichen Kontrolle durch Parlamente und Gerichte ein. Die Beschränkung von Freiheitsrechten durch Nachrichtendienste steht aus guten Gründen immer unter besonderem Rechtfertigungsdruck.

Die Bedrohungslage hat sich signifikant verändert und zugespitzt. Insbesondere nach dem barbarischen Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 haben wir in Deutschland eine erschreckende Zunahme von öffentlich zur Schau gestelltem Antisemitismus und anti-israelischem Hass erlebt. Diese Mobilisierung geht weit über das hinaus, was wir aus den Bereichen des Islamismus und des ausländischen Extremismus bislang kannten. Auch das linksextreme Milieu hat nun den Antisemitismus in weiten Teilen zum Hauptthema seiner Aktivitäten gemacht. Dabei erleben wir aktuell auch eine Vernetzung der verschiedenen antisemitischen Milieus miteinander. Parallel dazu hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine eine massive Zunahme hybrider Bedrohungen in unserem Land zur Folge. Wir beobachten eine deutliche Steigerung von Spionageaktivitäten, Propaganda- und Desinformationskampagnen, Ausspähversuchen kritischer Infrastrukturen und gezielten Sabotageakten, die darauf abzielen, die Handlungsfähigkeit und Wirtschaftskraft Deutschlands zu schwächen und das Land politisch zu spalten.

Hinzu kommt die weiterhin akute Gefahr des Rechtsextremismus, von dem nach wie vor eine große Bedrohung für unsere Demokratie ausgeht und dessen Vernetzungsgrad sowie Gewaltbereitschaft eine anhaltend hohe Priorität für unsere Sicherheitsbehörden erfordert. Insbesondere die Erstarkung rechtsextremen Gedankenguts unter Jüngeren stellt eine Gefahr dar, der vehement und effektiv begegnet werden muss.

Eine besonders heimtückische und dynamische Bedrohung stellt zudem die zunehmende Verrohung und Radikalisierung von immer jüngeren Personen im islamistischen Spektrum dar. Wir sehen, wie gezielte Online-Propaganda, die über soziale Medien und verschlüsselte Dienste verbreitet wird, junge Männer und sogar Kinder ins Visier nimmt, um sie in kürzester Zeit zu Gewalttätern zu formen. Diese digitale Radikalisierung unterläuft traditionelle Kontrollmechanismen und schafft eine ernsthafte Gefahr durch potenziell schwer identifizierbare Einzeltäter mit hoher Gewaltbereitschaft. Darüber hinaus ist der Linksextremismus nicht zu vernachlässigen. Dieser wird in Deutschland insgesamt deutlich unterschätzt. Die Brandanschläge u.a. auf Einrichtungen der Deutschen Bahn oder Energieversorgungsanlagen dürfen nicht ohne Konsequenzen bleiben, sondern erfordern eine klare Antwort des Rechtsstaates und seiner Sicherheitsbehörden. Der Kampf gegen Linksextremismus ist genauso entschlossen zu führen, wie gegen jede andere Form des Extremismus. Politische „Rabatte“ oder Rücksichtnahmen darf es hier nicht geben.

Vor diesem Hintergrund ist für uns eindeutig, dass die Verfassungsschutzämter diesen komplexen und vielschichtigen Bedrohungen nur dann wirksam begegnen können, wenn sie über ausreichende personelle, finanzielle und rechtliche Mittel verfügen. Die Digitalisierung des Bedrohungsraumes erzwingt eine kontinuierliche Anpassung von Technologie und Qualifikation innerhalb der Ämter. Eine moderne und effektive nachrichtendienstliche Arbeit ist ohne Investitionen in Personal und Technik nicht möglich. Gleichzeitig ist der Verfassungsschutz als nachrichtendienstliche Institution innerhalb eines gefestigten Rechtsstaats an die strengen Vorgaben des Grundgesetzes sowie die parlamentarische Kontrolle gebunden. Innere und äußere Sicherheit lassen sich allerdings nicht mehr eindeutig trennen, sondern müssen zusammengedacht und organisiert werden. Insbesondere der Informationsaustausch und die gemeinsame Nutzung von Fähigkeiten müssen ermöglicht und intensiviert werden.

Die Entwicklung des Nachrichtendienstrechts steht seit Jahren unter dem stetigen Einfluss der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das die Grenzen und Anforderungen an die Befugnisse der Dienste präzise, aber auch dynamisch neu justiert. Aus dieser juristischen Dynamik leitet sich unsere parlamentarische Verantwortung ab:

Einerseits müssen wir den rechtlichen Rahmen so weit wie möglich ausschöpfen, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, andererseits ist der freiheitliche Rahmen unserer Verfassung stets zu wahren.

Wollen wir dieser Herausforderung gerecht werden, so erfordert dies juristisch saubere, präzise und vor allem rechtssichere Befugnisse, insbesondere im Bereich der Datenerhebung, Datenverarbeitung und der zwingend notwendigen Datenübermittlung zwischen den Sicherheitsbehörden. Hier gilt der Grundsatz: Die Sicherheit der Bürger muss Vorrang haben, solange die Eingriffe verhältnismäßig und klar gesetzlich definiert sind. Wir brauchen weniger interpretierbaren Graubereich und mehr Klarheit, um den Verfassungsschutzämtern eine effektive und zugleich rechtskonforme operative Arbeit zu ermöglichen.

Weiterhin von zentraler Bedeutung ist die Klarheit bestehender Kriterien und die Anwendung einheitlicher Maßstäbe bei der Einstufung und Bewertung verfassungsfeindlicher Bestrebungen als extremistisch. Die Einstufung als Beobachtungsobjekt, Verdachtsfall oder gesichert extremistische Bestrebung darf nicht dem politischen oder regionalen Zufall überlassen bleiben. Nur wenn klare, bundeseinheitliche und objektivierbare Kriterien gelten, kann die Arbeit der Verfassungsschutzämter die notwendige Akzeptanz und rechtliche Tragfähigkeit entwickeln. Es ist festzustellen, dass die Rechtsprechung wie auch die Operationalisierung durch die Verfassungsschutzbehörden in diesem Bereich fortwährend im Fluss ist. Dies unterstreicht die Notwendigkeit für die Politik, gemeinsam mit den Behörden auf Basis der Rechtsprechung an klaren, praktikablen Definitionen zu arbeiten. Diese Definitionsarbeit muss auf Grundlage einer breiten demokratischen Debatte erfolgen und das Ziel verfolgen, gesellschaftliche Debattenräume weiterhin offen und breit zu halten. Jeglichen politischen Instrumentalisierungsversuchen ist vorzubeugen. Die politische Unabhängigkeit der Ämter ist weiterhin zu stärken zu gewährleisten.

Mit Blick auf die aktuelle Debatte um ein mögliches Parteiverbotsverfahren gegen die AfD bekräftigen wir unsere Haltung: Wir lehnen den Vorschlag eines Verbotsverfahrens zum jetzigen Zeitpunkt ab. Unliebsame Meinungen kann man nicht einfach verbieten, sondern ihnen muss mit politischen Antworten begegnet werden. Das Mittel des Parteiverbots ist das schärfste Schwert, die ultima ratio der wehrhaften Demokratie, und kann nur bei zweifelsfrei nachgewiesener Erfüllung der gesetzten Kriterien eingesetzt werden. Derzeit kann dies noch nicht bejaht werden. Sinnvoll ist ein Verbot darüber hinaus nur, wenn der angestrebte Zweck überhaupt erreicht werden kann. Erfolgversprechender im Umgang mit Extremismus und den Feinden der Demokratie ist nach unserer Überzeugung Aufklärung, klare politische Abgrenzung und effektive Umsetzung der Interessen der Bürgerinnen und Bürger. Kurzum: Gute Politik ist das beste Mittel im Kampf gegen die Feinde der Demokratie. Auch die kontinuierliche Information der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen, wie sie die Verfassungsschutzberichte leisten, ist ein effektiveres Mittel zur Aufklärung der Gesellschaft über extremistisches Gedankengut als ein langwieriges, ergebnisoffenes und potenziell die extremen Ränder nur weiter verfestigendes Verbotsverfahren. Der Verfassungsschutz ermöglicht es uns, die Bedrohung klar zu benennen, die Akteure zu identifizieren und die Öffentlichkeit zu warnen, ohne dabei die hohen Hürden eines Parteiverbotsverfahrens in Kauf nehmen zu müssen. Die Stärkung des Verfassungsschutzes ist somit einer der direktesten und wirksamsten Beiträge zur Verteidigung der Demokratie.

Die verfassungsschutzpolitischen Sprecher der Unionsfraktionen bekräftigen in aller Deutlichkeit ihr klares und unmissverständliches Bekenntnis zum Verfassungsschutz als unverzichtbarem Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Neben dem parlamentarischen Kontrollauftrag haben wir die Pflicht, sie vor ungerechtfertigter Kritik zu schützen und ihnen öffentlich Rückendeckung zu geben. Diese Unterstützung liegt in der staatspolitischen Verantwortung der Unionsparteien, da sie Voraussetzung für eine wehrhafte Demokratie ist. So wie wir zu unseren Polizistinnen und Polizisten stehen, die im Dienst für den Bürger täglich alles geben, so müssen wir auch zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nachrichtendienste stehen.

Berlin, den 22. November 2025